Whites Bericht

Die Geräuschkulisse ließ nicht zu wünschen übrig. Da waren die tuckernden Dieselmotoren der Rheinschiffe, einmal ferner, einmal näher. Da war das Summen der Stadt hinter ihnen: Die jungen Linden rechts und links rauschten sanft zischend im Wind, ein paar Kinder übten auf Skateboards, Spaziergänger schlenderten plaudernd vorbei.

Trotzdem schien es Grau, als säßen sie in einem geschlossenen Raum.

White sprach sehr leise. In der rechten Hand hatte er einen kleinen dünnen Ast und malte damit wirre Linien in den Sand zwischen zwei zerzausten Grasbüscheln. »Haben Sie die Welt der Drogen so ungefähr im Blick? Wissen Sie, was läuft?«

Grau schüttelte den Kopf. »Gelegentlich lese ich darüber, sonst nichts.«

White nickte bekümmert. »Okay, okay. Sie müssen auch die hemmungslos provinziellen deutschen Politiker vergessen, wenn Sie die Lage begreifen wollen. Es besteht sonst die Gefahr …«

»White«, unterbrach Grau sanft, »bitte keine pädagogische Exkursion. Ihr Amis seid schließlich Weltmeister in Provinzialismus.«

»Ich weiß.« White nickte. »Deshalb erwähnte ich diesen Punkt. Und Ihr Deutschen seid fantastische Schüler.«

Er grinste flüchtig. »Die Drug Enforcement Administration arbeitet wie eh und je weltweit. Wir sind der einzige Geheimdienst der Welt, der sich exklusiv auf Drogen und Drogengelder spezialisiert hat. Wir sind auch die einzige Gruppe, deren Mitglieder ausnahmslos diplomatischen Status haben und die logischerweise beim Finanzministerium angesiedelt ist, denn schließlich geht es ja um Geld, um die Ware also …«

»Al White.« Grau legte ihm die Hand an den rechten Oberarm. »Ich soll einen Mann in Berlin suchen, der möglicherweise eine Leiche ist. Wenn Sie jetzt eine Vorlesung halten, sitzen wir morgen noch hier.«

»Okay. Also die Kurzfassung: Wir operieren in jedem Staat, der als Hersteller oder Transitland eine Rolle spielt. Deutschland ist Letzteres. Und hier verfügen eine ganze Menge Menschen über eine ganze Menge Geld. Also können von Deutschland aus Drogen finanziert werden, ohne dass die Finanziers auch nur den leisesten Dunst davon haben, was mit ihrem Geld passiert. Okay?

Ferner ändert sich der internationale Drogenmarkt derzeit rapide. Kolumbien hat traditionell immer nur Kokain hergestellt. Jetzt baut es seit einigen Jahren zusätzlich auch noch den Grundstoff von Heroin an, also Mohn. Die Kokainsträucher wuchsen bisher ausschließlich in Südamerika; jetzt werden sie zusehends auch in Fernost angepflanzt.

Das hat auch etwas mit den Verbrauchern zu tun. Wir erwarten für die Vereinigten Staaten eine harte, brutale Heroinphase, für Europa und gewisse Länder in Fernost, Japan zum Beispiel, eine Kokainphase.«

»Wieso denn das?«

»Das passt zur politischen Stimmung«, erklärte White lapidar. »Der Deutsche zum Beispiel hechelt ununterbrochen seine Karriereleiter rauf, will ununterbrochen gut drauf sein, will immer Power haben. Natürlich könnte er künstliche Aufputscher sniefen, spritzen oder schlucken. Wer aber was auf sich hält, schnupft Koks. Er demonstriert damit Geld, und Geld ist das Zeichen für Erfolg.

Kokain hat für alle Polizisten der Welt einen erheblichen Nachteil: Kokainverbraucher fallen niemals oder nur sehr selten kriminell auf. Bestenfalls kriegen sie eine Anzeige wegen Falschparkens. Streng genommen sind Kokssniefer Leute mit Geld, die sich hin und wieder einen Spaß erlauben wollen, weil Spaß im Leben das Einzige ist, was man sich ständig gönnen sollte.«

»Warum legalisiert ihr das ganze Scheißzeug nicht einfach?«

White sah Grau grinsend an. »Wenn wir es legalisieren, verlieren wir unsere Spielwiese.« Er wandte sich wieder seinem dürren Ast zu und ritzte ein Viereck in den Sand.

»Nach wie vor ist Kokain ein Fetisch der Reichen. Wenn ich auf der Jacht eines reichen Mannes auftauche und sage: ›He, Leutchen, hebt mal die Patschhändchen, ich bin der schreckliche Al White von der DEA!‹, lachen die sich tot und bieten mir die silberne Zuckerdose mit dem Kokain an. Verstehen Sie, was ich meine? Kokain war und ist die Droge intensivster Arroganz.«

»Haben Sie denn selbst mal gekokst?«

»Selbstverständlich habe ich es probiert.«

»Und? War’s gut?«

White verzog den Mund. »Ja und nein. Ich wollte wissen, wie es wirkt. Aber ich würde mich nie auf dieses Scheißzeug verlassen. Okay, es putschte auf. Aber toll war es nicht.«

»Wen soll ich suchen?«

»Der Mann heißt Ulrich Steeben.«

»Ein Gangster?«

»Nein! Aber falls doch, ist er perfekt getarnt. Das kommt darauf an, aus welcher Perspektive man ihn betrachtet. Also der Reihe nach: Wir sind seit Jahren hinter einem Südländer her. Er ist ein Mann, der zwar Drogen finanziert, aber seinen Enkel totprügeln würde, wenn es dem einfallen sollte, auch nur einen Joint zu probieren. Er macht wie die meisten Großdealer sowohl legale als auch illegale Geschäfte. Er finanziert Drogen, aber er weiß nicht einmal, wie sie aussehen. Das interessiert ihn auch nicht.«

»Wie heißt er?«

»Das kann ich Ihnen nicht sagen. Zu Ihrem eigenen Schutz. Dieser Mann reiste privat nach Acapulco zum Sonnenbaden. Dann machte er einen Abstecher ins Grenzgebiet zwischen Peru und Kolumbien. Er wollte mit ein paar Kokainherstellern einen Plan besprechen. Es ging darum, in Berlin einen Kokainschläfer einzusetzen.

Der Grund ist einfach: In Europa sind die Grenzen kein Problem mehr. Gleichzeitig wird Interpol ausgebaut, dadurch sichert man Europa nach außen ab. Die alten Schmuggelrouten über den Atlantik an die Küste Nordspaniens oder über Afrika taugen nicht mehr. Die Kokainmärkte in den Ballungsgebieten Europas werden ausgetrocknet. Ein Kokainschläfer in Berlin würde für ganz Nordeuropa viele Probleme erledigen: Wann immer jemand Kokain benötigt, der Schläfer kann es liefern. Klar?«

»Durchaus nicht«, sagte Grau.

White seufzte. »Sie wollten keinen Vortrag, jetzt kriegen Sie eben doch einen. Die nationalen und internationalen Kriminalisten sind verdammt gut geworden. Die Kokaindealer müssen darauf reagieren. Ein Schläfer in Berlin ist eine verdammt clevere Reaktion. Kapiert?«

»White, ich bin Laie.« Grau sah ihn vorwurfsvoll an. »Was zum Teufel ist ein Kokainschläfer?«

»Shit«, sagte White und schlug sich auf die Knie, »immer diese Spezialisten!« Er lachte. »Ein Kokainschläfer ist ein Mann, der die Struktur der Szene auf den Kopf stellt. Normalerweise bilden viele Leute eine Kette. Hersteller, Großverteiler, Schmuggler, Großdealer, mittelstarke Dealer, Kleindealer, Konsumenten. Beim Schläfer ist das alles etwas anders. Er wird direkt vom Hersteller beliefert, aber verdammt selten. Er bekommt auch niemals gebrauchsfertigen Stoff, sondern das reine Konzentrat. Er selbst steht mit keinem Großverteiler, mit keinem Schmuggler, mit keinem Großdealer und keinem Kleindealer in Verbindung. Die interessieren ihn überhaupt nicht …«

»Ach, du lieber Gott.« Grau war erheitert. »Ich beginne zu begreifen. Das macht Ihnen Kummer, nicht wahr?«

»Und wie! Das, was sich der Finanzier da ausgedacht hat, ist teuflisch. Nehmen wir an, London hat kein Kokain mehr oder der angebotene Stoff ist qualitativ schlecht. Sie können auch Düsseldorf nehmen oder Stockholm, das ist wurscht. Irgendein Großverteiler fordert per Telefon Nachschub. Das geht über eine ganze Kette von Telefonaten. Und der Finanzier kriegt zwangsläufig auch Wind davon. Der ruft nun den Schläfer in Berlin an und sagt: ›London.‹ Er sagt nur London, sonst gar nichts. Der Schläfer hat ja genügend Bargeld und Stoff. Er macht einfach eine Sendung fertig und übergibt sie einem Kurier. Dieser Kurier ist nicht vorbestraft, hat noch nie im Leben mit Drogen zu tun gehabt und hat keine Ahnung, was er da transportiert. Er schwingt sich auf ein schnelles Motorrad oder steigt in seinen Porsche, und London hat kein Problem mehr. Der Schläfer kassiert nicht, er beauftragt bei jeder Transaktion einen neuen Kurier, er benutzt jedes Mal ein anderes Telefon, auf keinen Fall sein eigenes. Der Plan ist deshalb so gut, weil er so einfach ist.«

»Dieser Schläfer sollte also dieser Ulrich Steeben sein?«

»Richtig.«

»Und jetzt ist er futsch. Samt Koks und Dollars.« Grau lachte.

»Langsam, langsam. Die Kokainhersteller stimmten dem Plan zu und beteiligten sich mit fünfzig Prozent. Der Schläfer bekam zehn Millionen Dollar in bar und fünfzig Pfund hochprozentiges Kokain.«

»Wie viel wäre das umgerechnet für den Verbraucher?«

White wiegte bedächtig den Kopf. »Aus diesen fünfzig Pfund kann man locker zwei Zentner machen, und es wäre immer noch der beste Stoff in ganz Europa. Der Schläfer soll ja auch durch Qualität glänzen.«

»Zehn Millionen Dollar, zwei Zentner Koks. Was macht das insgesamt?«

»Etwa dreißig Millionen Dollar oder rund fünfzig Millionen Mark.«

»Großer Gott, und was sagt die Konkurrenz?«

»Die hat keine Chance.«

»Und wenn Steeben eine Leiche ist?«

»Ich sagte doch: Wir müssen aufräumen.«

»Wieso eigentlich so viel Bargeld? Wäre es nicht sicherer, dem Schläfer einige Millionen auf ein ganz normales Bankkonto zu überweisen?«

»Sie machen Fortschritte.« White starrte auf die Grasbüschel zwischen seinen Schuhen. »Drogen bedeuten immer auch Bargeld. Der Schläfer hat aber außer den zehn Millionen Dollar noch ein perfekt ausgestattetes Bankkonto mit etwa zwei Millionen Mark. Die zehn Millionen Dollar sollen ausschließlich dazu dienen, Gegenmaßnahmen der Konkurrenz auszuschalten: zum Beispiel Kokain aufzukaufen, das die Konkurrenz in den Markt einschleust, Kuriere auszustatten, irgendwelche Menschen einzukaufen, die man für irgendetwas braucht.«

»Wer sind diese Konkurrenten?«

»Alle möglichen Leute. Chinesen aus Amsterdam, die mit den Triaden, also der Fernost-Mafia, zusammenarbeiten. Japaner. Mafiosi. Gruppen mit mafiosen Strukturen aus dem Nahen Osten, aus dem ehemaligen Ostblock, aus Moskau. Die Liste ist endlos. Und? Werden Sie Steeben suchen?«

»Ich weiß es nicht. Wer ist denn dieser Wunderknabe nun wirklich?«

»Er arbeitet als Diplomat für das Auswärtige Amt in Bonn.«

»Scheiße!«, platzte Grau heraus.

»Sie haben verstanden«, nickte White befriedigt. »Kann ich jetzt auf ihn zu sprechen kommen?«

»Moment mal!« Grau hob abwehrend beide Hände. »Dieser Steeben ist wirklich in Berlin angekommen? Ist das sicher?«

»Ja.«

»Samt Geld und Koks?«

»Ja.«

»Woher wissen Sie das so genau?«

»Ich hatte drei Tandems angesetzt, vier Männer, zwei Frauen. Sie waren Zeugen.«

»Und er ist Ihren Leuten entwischt?«

»Er hat sich samt Fracht in Luft aufgelöst.«

»Diese Kiste ist zu schwer für mich.«

»Wenn einer, dann Sie«, beharrte White. »Sie sind hartnäckig, und Sie sind vor allem naiv.«

Grau wandte ihm den Kopf zu und lächelte. Dann nickte er. »Also schießen Sie los. Was muss ich über Steeben wissen?«

»Ein seltsamer Junge. Er ist achtundzwanzig. Doktor der Ingenieurwissenschaften, hochintelligent, eiskalt, ein Superkarrierist. Er ist der einzige Sohn eines Allgemeinmediziners in Tübingen. Der Arzt warf seinen Sohn gleich nach dem Abitur raus. Begründung: Der Junge wäre gefühllos, bar jeder Moral, hätte null Gewissen. Der Junge ging nach Aachen zum Studium. Nachdem er das Examen und den Doktor gemacht hatte, eröffnete er eine Kneipe, war erfolgreich und verscherbelte zudem alle möglichen Sachen.«

»Drogen?«

White schüttelte den Kopf. »Nicht die Spur. Eher ein Gesundheitsbolzen. Joggt jeden Morgen; der rennt mühelos zwanzig Kilometer am Stück, ehe er arbeiten geht. Verliebt in den eigenen Körper.«

»Frauen?«

»Jede Menge. Aber brutal. Meistens Nutten. Er schlägt sie, wenn sie nicht parieren.«

»Ein Sadist?«

»Möglich, aber nicht von der krankhaften Sorte.«

»Wieso denn Diplomat?«

»Hat eindeutig mit seiner Karriere zu tun. Beruflich ist er ein Ass, sprachlich ein kleines Genie. Hat immer nebenbei irgendeine Sprache gelernt. Spanisch, Englisch sowieso, Italienisch natürlich. Ja, und Russisch, perfekt Russisch. Diplomat deshalb, weil er begriffen hat, dass der Dienst in der Diplomatie ihm zu einer gewissen Narrenfreiheit verhilft. Das Auswärtige Amt nahm ihn sofort. Er wurde wie üblich durch sämtliche Schulungen gejagt. Man prophezeite ihm eine schnelle, steile Karriere.«

»Parteizugehörigkeit?«

»Selbstverständlich Freier Demokrat, aber ebenso selbstverständlich war für ihn die Partei nur Steigbügelhalter für die Karriere.«

»Wie kommt denn der an Drogen?«

White grinste. »Sehr einfach: Er machte die Bekanntschaft des Drogenfinanziers, des Südländers. Das war vor rund fünf Jahren. Er nahm ihn gewissermaßen an Sohnes statt an. Uli wurde Drogenlehrling, ganz langsam. Er mag reiche Leute, der liebe Ulrich, und die lernte er auf diese Weise kennen.«

»Und das Auswärtige Amt? Hat das auf diese merkwürdige Bekanntschaft reagiert?«

»Überhaupt nicht. Ob jemand etwas wusste oder nicht, ist eigentlich egal, denn der Drogenpapi ist ein höchst ehrenwerter Mann, ein braver Steuerzahler, einer, der viel Geld an die Armen spendet.«

»Wann ist das eigentlich alles passiert?«

White zerbrach den dürren Ast. »Vor ein paar Tagen erst.«

»Und woher wissen Sie all die Einzelheiten?«

White schüttelte bedächtig den Kopf. »Ich gebe Informanten niemals preis. Das werden Sie verstehen.«

»Dann erzählen Sie mir wenigstens noch ein paar Details.«

»Steeben war in den letzten Monaten als Kurier des Auswärtigen Amtes unterwegs. Er graste die Botschaften auf beiden amerikanischen Kontinenten ab. Also von Bonn nach Washington, New York, Los Angeles, Mexico City, Rio und so weiter. Diese Jungs sammeln wichtige Post und Dokumente ein und bringen sie nach Bonn. Alle vierzehn Tage.

Ulrich machte eine scheinbar ganz normale Runde. Er nahm in Rio das Kokain und das Geld in zwei zusätzlichen offiziellen Kurierkoffern auf und flog nach Amsterdam. In Amsterdam steigt er normalerweise in eine Linienmaschine nach Bonn um. Dieses Mal aber nahm er eine Maschine nach Berlin. Das ist kein Problem, denn er besitzt so ein Ticket des Auswärtigen Amtes, mit dem er in jede Maschine der Welt einsteigen und irgendwohin düsen kann.

Wir kannten den Plan und haben ihn auf der ganzen Reise begleitet. Wir wollten keinen direkten Kontakt aufnehmen, erst einmal beobachten. Bei neuen Kunden sind wir vorsichtig. Er landete mit United Airlines in Berlin, stieg aus, ließ seine Koffer in zwei Taxis laden und fuhr ins Hotel.

Meine Leute scharwenzelten natürlich immer um ihn herum. Im Hotel hatte er bereits ein Zimmer gebucht. Sein Gepäck wurde von Pagen hinaufgetragen. Meine Leute checkten ebenfalls ein, und als sie zehn Minuten später kontrollieren wollten, ob Ulrich sein Zimmer bezogen hat und sich wohlfühlt, war der verschwunden. Mit ihm das gesamte Gepäck …«

»Also auch die normale Kurierpost?«

»Auch die. Die ist aber inzwischen von Unbekannten nach Bonn geschickt worden. Es hing ein Zettel dran: Mit schönen Grüßen an den Herrn Außenminister. Ulrich dagegen ist und bleibt spurlos verschwunden.«

»Wie war denn der ursprüngliche Plan? Was sollte Steeben in Berlin tun?«

»Er sollte noch eine Weile im Hotel bleiben, dann eine Nobelwohnung am Kurfürstendamm beziehen. Er sollte ganz offiziell den Dienst quittieren und in Berlin die Rolle eines reichen Sohnes spielen. Ein perfekter Schläfer.«

»Was ist, wenn dieser hemmungslose Karrierist sich einfach nur alles unter den Nagel reißen wollte?«

White stieß entsetzt den Atem aus. »Grau, bleiben Sie auf dem Teppich! Uli ist äußerst intelligent, und er hat einen mächtigen Ziehvater. Sollte er versuchen, Koks und Geld abzuzweigen, wäre er sofort ein toter Mann. Und das weiß er.«

»Werde ich auch ein toter Mann sein, wenn ich ihn finde?«

»Nicht unbedingt. Wenn Ihre Deckung in Ordnung ist, passiert Ihnen gar nichts. Sie geben mir Bescheid, und wir übernehmen.«

Grau sah zwei Möwen zu, die sich kreischend dicht über dem Wasser jagten. »Vielleicht hat jemand aus Ihrer Beschattungscrew einfach nur nicht dichtgehalten?«

White schüttelte den Kopf. »Sehr unwahrscheinlich. Die Babysitter wussten zwar, dass er Geld und Stoff transportiert, aber wie umfassend die Aktion wirklich war, davon hatten sie keine Ahnung. Außerdem wäre Plaudern in diesem Fall sehr riskant. Verräter kommen in der Regel nicht einmal mehr dazu, sich einen Grabstein zu kaufen.«

»Es gibt immer Narren. Mit und ohne Grabstein. Auf jeden Fall ist etwas gründlich schiefgegangen. Und das deshalb, weil irgendjemand etwas wusste, was Sie nicht gewusst haben.«

»Das ist richtig«, gab White zu. »Was ist? Suchen Sie Steeben?«

Ein kleines Passagierschiff zog auf dem Rhein vorbei, es hieß Domspatz.

»Sie sind in Schwierigkeiten, okay. Sie sind in großen Schwierigkeiten, auch okay. Das kann man beheben. Sie wirken fahrig, White.«

»Das mag ich so an Ihnen, dieses Penetrante. Also gut: Meine Frau will sich scheiden lassen und meine Sekretärin behauptet, das Kind, das sie erwartet, stamme von mir.«

»Haben Ihre Frau und Ihre Sekretärin von der Geschichte mit Ulrich Steeben gewusst?«

»Kein Wort, absolut nichts. Das wissen Sie doch, wir Geheimdienstleute leben kafkaesk, wir müssen unseren Lieben erzählen, dass wir Pizza verkaufen, während wir irgendwo im Urwald Leute umnieten. Übernehmen Sie den Job?«

»Wahrscheinlich.«

»Was heißt hier wahrscheinlich? Trauen Sie mir nicht?«

»Nicht besonders. Warum sollte ich? Sie stecken in Schwierigkeiten. Wie lange haben Sie mir hinterherrecherchiert?«

»Eine Woche«, sagte White fröhlich. »Ich kenne alle Zahlen Ihrer letzten Kontoauszüge. Ich weiß auch, wie oft Sie ein Bier trinken und wie viele Kredite Sie aufgenommen haben, wo Sie Ihre Klamotten kaufen, wen Sie mögen, wen Sie meiden, mit wem Sie schlafen, in welchen Stellungen und wie oft. Ich weiß so ziemlich alles. Auch von dieser Angie. Sie ist eigentlich nicht Ihre Kragenweite.«

Graus Mund war ein harter Strich. »Ich wollte eine gewisse bürgerliche Sicherheit. Die hat sie mir geschenkt. Geben Sie mir drei Stunden, wir sehen uns in Godesberg in der Botschaft, okay?«

White war verwirrt und zog nun mit dem Zeigefinger Linien in den Sand. »Wieso diese Verzögerung?«

Grau zog die Nikon, die er immer bei sich trug, aus seinem Jackett und fotografierte White. Mit dem Autofokus geschah das sehr schnell und unauffällig. Als Ablenkungsmanöver gab er gleichzeitig ein paar Klischees von sich. »Ich muss Ihren Worten nachlauschen. Ich will herausfinden, wo die Stolpersteine liegen.«

»Sie können mich doch fragen.«

»Ich will nicht fragen, ich will es herausfinden«, beharrte Grau.